Geschichte der Radaufhängung
Die beiden blattgefederten Starrachsen hat das Automobil zu Beginn seiner Entwicklung aus der Kutschenzeit übernommen. Aus dieser stammt auch die Achsschenkellenkung (Ackermann), die ebenfalls sehr früh eingebaut wird. In der Zeit bis zur Jahrhundertwende wandert der Motor allgemein nach vorn und noch vor dem Ersten Weltkrieg geht
der Schwerpunkt durch kleinere Räder und ein geändertes Chassis nach unten.
Bis zum Ende der zwanziger Jahre sind auch bei Rennwagen mit weit über 200 km/h Starrachsen vorn und hinten üblich. Reibungsdämpfer (Bild 3) sorgen für Beruhigung. Hydraulische Dämpfer, wie wir sie heute kennen, setzen sich endgültig
erst nach dem Zweiten Weltkrieg durch.
Relativ zaghaft macht sich etwa ab 1930 der Frontantrieb (DKWF, Citroën) breit, kombiniert mit Einzelradaufhängung und querliegender Blattfeder, eine Konstruktion, die es bei Quermotoren bis in die siebziger Jahre schafft. Aber auch Produzenten von Fahrzeugen mit Frontmotor und Hinterradantrieb setzen vereinzelt auf doppelte Querlenker, siehe Chrysler ab 1933 (Bild 2).
Da nach 1945 zunächst die Autos von vor dem Krieg gebaut werden, gibt es immer noch starre Vorderachsen. Mit den ersten Neukonstruktionen ändert sich das gründlich. Für die Mittelklasse gibt es jetzt fast einheitlich schraubengefederte Doppelquerlenker vorn
und zunächst blatt- später schraubengefederte Starrachsen hinten.
Kleinwagen tauchen fast ausschließlich mit Heckmotor und vor der Hinterachse liegendem Getriebe (Bild 4) auf mit einer Übersteuertendenz, die fast nur mit vorne stärkeren Stabilisatoren
gebändigt werden kann. Hinten tritt die Pendelachse ihren Dienst an. Mercedes verbaut diese mit nur einem (allerdings stark abgesenkten) Gelenk sogar in der
Ober- und Sportwagenklasse (300 SL).
Wenn man von den doppelten Längs-/Kurbellenkern des VW-Käfers absieht, gibt es ab jetzt vorne nur noch Doppelquerlenker, die in den
siebziger Jahren in der Unter- und Mittelklasse von den McPherson-Feder- oder auch nur Dämpferbeinen abgelöst werden, unbedingt kombiniert
mit der hier längst etablierten, selbsttragenden Karosserie.
Die hintere Pendelachse ermöglicht leider beim leichten Ausfedern positiven Sturz. Hintere Einzelradaufhängungen, die dies vermeiden, tauchen in fertigungstechnisch vernünftiger Form erstmals bei BMW ab den
Sechzigern auf. Später wird die Konstruktion von fast allen im Prinzip übernommen, sogar von den verbliebenen Heckmotoren.
Schon ab 1959 (Mini) von Großbritannien, sich sehr, sehr langsam über Frankreich und erst spät nach Deutschland verbreitend, wird der Frontantrieb
mit Quermotor populär. Als er bei VW/Audi ankommt, erfindet man dort die besonders effektive und kostengünstige Verbundlenker-Hinterachse,
die ebenfalls einen Siegeszug durch die ganze Welt antritt.
Dann muss noch einmal Mercedes genannt werden, die einen Baby-Benz bauen wollen, aber wegen des Tanks für die üblichen
Schräglenker nicht genügend Platz haben. Es entsteht die Raumlenker-
Achse, die gerade nicht viel Raum, dafür aber eine Menge kreuz und quer angeordnete Lenker beansprucht.
Spätestens in den Neunzigern wird es kompliziert, weil sich zum Frontantrieb auch noch der Allrad gesellt. Die Hinterachsen werden hier ähnlich aufwändig wie die
von Frontmotoren mit Hinterradantrieb. Mehrfachlenker (Multilink) heißt das Schlagwort. Kleine Spurstangen tauchen nun auch hinten auf, um den Schräglaufwinkel für ein Rad bei jedem Wankwinkel exakt einregeln zu können.
Audi macht sogar vorne aus einem Querlenker zwei einzelne Lenker und verlegt damit die Schwenkachse in das Rad hinein. Störkraftfrei soll die Lenkung werden, ein Prinzip, das nachher z.T. wieder zurückgenommen
wird. Wichtige Elemente hierbei sind die inzwischen allgegenwärtigen, wartungsfreien Kugelköpfe, die spätestens in den Siebzigern die wartungs- und reparaturintensiven Achsschenkelbolzen abgelöst haben.
Nur beim Lkw gibt es sie noch heute, wenn auch nadelgelagert. Hier hat sich auch an den Starrachsen nichts geändert, wenn man von deren aufwändiger Führung bei Luftfederung absieht. Reisebusse hingegen sind
der Pkw- und Transporter-Entwicklung gefolgt, wenn auch nur an der Vorderachse.
Luftfederung, das ist ein inzwischen wichtiges Stichwort. Beim Mercedes 600 wurde sie versucht. Dann für lange Zeit aufgegeben. Heute ist sie als Option fast Standard in der Oberklasse. Überhaupt hat die Elektronik
auch das Fahrwerk im Griff, u.a. mit der adaptiven Dämpfung. Millisekunden schnell verhärtet sie die Federung und sorgt für etwas mehr Ruhe, ebenso wie ESP, das neuerdings nicht mehr nur auf die Bremsanlage wirkt.
12/09
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