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  Das Westerwald-Motorrad



Vermutlich haben sie noch nie von einem solchen Motorrad gehört. Das gibt es auch nicht wirklich, es ist eher eine Fiktion oder eine Zusammenfassung bestimmter Eigenschaften, die von einem Motorrad in wirtschaftlich schlechten Zeiten z.B. nach dem Zweiten Weltkrieg verlangt werden. Der Begriff wurde von Ernst Leverkus, einem berühmten Motorrad-Journalisten, in seinem Buch 'Die Motorräder der 50er, 60er und 70er Jahre' geprägt.

Nach der Definition sollte es eine kleine Maschine mit sagen wir 200 bis 250 cm3 sein, gerne auch als Zweitakter. Mehr als 7 kW (10 PS) hält er nicht für nötig, aber ein relativ breit gestreutes Drehmoment und einen geringen Benzin- bzw. Ölverbrauch und natürlich Anschaffungskosten. Dafür schätzt er die Wendigkeit und traut einer solchen Maschine auch den Transport einer zweiten Person einschließlich 'Überlandreisen' zu.

Leverkus selbst weist es weit von sich, so eine Maschine jemals als 'Bauernmotorrad' bezeichnet zu haben. Nicht nur die Zufriedenheit mit einer gewiss nicht überragenden Motorleistung kennzeichnet seine Beschreibung, auch das Getriebe darf nur drei statt vier Gänge haben. Wie gesagt, dafür sollte es lieber schon früh im höchsten Gang losziehen, also möglichst ohne Ruckeln.

Auch an die Federung des Gefährts stellt er gewisse Anforderungen, besonders wenn es zu zweit benutzt wird, wobei er sich allerdings mit der Sattel- bzw. Vorderradfederung begnügt. Bei den Wartungsansprüchen eines solchen Motorrads wird Leverkus einigermaßen radikal. Die sollten extrem gering sein und die höchste Freude sollte das Gerät empfinden, wenn es einmal eine Nacht in einer Scheune verbringen darf.

Eine äußere Säuberung, wie auch immer, sollte eine solche Maschine für sich vielleicht ein Mal im Jahr für sich in Betracht ziehen. Bei leerer Batterie müsste sie durch Kickstarten oder spätestens durch Anschieben ohne Murren anspringen. Leicht reparierbar sollte sie sein. Leverkus schlägt als mögliches Werkzeug Schmiedehammer und Universal-'Engländer' vor. Das häufig damals nötige Säubern der Zündkerze bzw. ihr Austausch dürfe erst gar nicht nötig sein.

Und warum erzähle ich Ihnen das alles? Wo wir doch gegenüber diesem Szenario im gelobten Land zu leben scheinen. Wer braucht heute noch so ein Motorrad? Seien Sie gewiss, wir alle irgendwie. Warum? Weil so ein Motorrad trotz Geschwindigkeit den Bezug zur Wirklichkeit aufrechterhalten hat. Weil 70 km/h zu zweit im Fahrtwind noch ein Lächeln ins Gesicht zauberten.

Keine Angst, das soll kein Artikel werden mit dem Appell 'Zurück zu den Anfängen'. Nein, geht auch gar nicht. Erstens, weil es sich um ein Motorrad handelt, für dass man einen zusätzlichen Führerschein braucht, es auf der Autobahn zwischen den Lastern eine Gefahr für sich selbst darstellt und weil es nahezu undenkbar wäre, dass, wie Leverkus es erwähnt, jemand vor dem Stuttgarter Bahnhof eine Panne hat und dort selbst repariert.

Nein, man müsste das in uns wecken, was vielleicht verloren gegangen ist. Was? Dazu ein noch harmloses Beispiel, in diesem Buch schon einmal angerissen. Es geht um das vermaledeite Telefon. Nein, hier ist mal ausnahmsweise nicht das Smartphone bzw. das tragbare gemeint, es könnte auch eins am Festnetz sein. Stellen Sie sich eine(n) Redakteur/in vor. Er/Sie soll einen Artikel schreiben. Zum Einlesen in den Sachverhalt ist keine Zeit, der Redaktionsschluss drückt.

In der heutigen Zeit wird deshalb die Vernetzung so stark betont, weil für eine vernünftige Recherche keine Zeit ist. Bisweilen wäre die Zeit sogar vorhanden, ein riesiges Reservoir von Informationen stünde zur Verfügung, aber es wird einfach nicht gemacht. Weil natürlich die Suche nach den richtigen Eingabewörtern lange dauert, artet erfolgreiche Erarbeitung von Wissen und deren kritische Hinterfragung in Knochenarbeit aus.

Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich spreche. Da wären wir wieder bei dem Westerwald-Motorrad, das ursprungliche Begeisterung an Dingen verlangt, für die wir heute nicht mal ein Auge haben. Man müsste sich also freuen können, wenn man auch an einem von ausgewiesenen Experten/innen verfassten Bericht noch gewisse Unregelmäßigkeiten gefunden und diese durch andere Quellen geklärt hätte. Mit anderen Worten, wenn man seine Arbeit vernünftig gemacht hat.

Nicht ganz so unser(e) Redakteur/in. Und hier kommt das Telefon wieder ins Spiel. Das ist ein Gerät zur Verkürzung, nicht nur unserer Arbeits-, sondern auch unserer Freizeit. Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum beinahe jede(r) sich z.B. Rückfragen statt per E-Mail lieber per Telefon wünscht? Ein Telefon schafft den Zwang, etwas sofort zu klären. Wie soll es auch anders gehen? Warten am Telefon, während der/die andere nachfragt, scheint höchst unhöflich. Mit Recht.

Aber das alles ist kein Akt der Höflichkeit. Durch eine Aktion mit dem Telefon will man Sie nämlich eigentlich schnell loswerden. Das hat sich auch schon auf E-Mails übertragen, so übertrieben höflich sie meist auch formuliert sein mögen. Kennen Sie den Spruch, dass man gerne Ihre Fragen beantwortet und dann gleich die erste glatt weglässt, weil die Recherche zu langwierig oder die Antwort zu unangenehm wäre?

Also die neue Welt: Function follows form. Solange die Verpackung hübsch ist . . . Bei einem Telefon-Recall hat man schließlich auf Ihr Anliegen reagiert und durch die Art der Kontaktaufnahme gleichzeitig die Grenzen einer möglichen Antwort klargemacht. Sie können also nur noch erwarten, was Ihr Gegenüber im Moment im Kopf hat. Eventuell zu möglichen Experten bzw. Vorgesetzen durchverbinden, wer hat das jemals schon einmal erlebt. Vermutlich nur nach erheblichem Säbelrasseln.

Zurück zum/r Redakteur/in. Der Redaktionsschluss sitzt brüllend im Nacken. Wie füllt man Zeilen, und zwar so, dass einem niemand den Vorwurf machen kann, man habe Zeilen füllen wollen. Man ruft jemanden an und zitiert ihn, natürlich zusammen mit seinem Tätigkeitsbereich, das bringt Zeilen. Merke, das ist alles umsonst und in Null-Komma-Nichts erledigt. Keine Haftung für die Korrektheit der Aussage, genialer geht es nicht. Also noch ein Anruf oder noch zwei.

Nachteilig ist eigentlich nur, dass wir Bezieher (bzw. Bezahler) der Zeitung das alles lesen müssen. Denn so ein Trick kann natürlich nicht unbemerkt bleiben. Schließlich haben andere Redakteure/innen auch ihre liebe Not mit dem Redaktionsschluss. Und die sogenannten Experten/innen? Warum opfern die ihre Zeit für Redakteure/innen, die zu faul sind oder zu wenig Zeit haben, vernünftig zu recherchieren?

Weil z.B. Faulpelze eine außerordentlich menschenfreundliche Ader haben. Sie haben gelernt, dass man sich mit Freundlichkeit und einer gekonnten Überhöhung des/der anderen enorm viel Arbeit erspart. Das hat sich in den letzten Jahrzehnten herumgesprochen, nämlich wie man auf andere zugeht. Selbst die größten Besserwisser/innen werden bei der Gelegenheit zu Frageschönheiten. Begonnen hat das damals bei Oma, um vielleicht zu ein paar mehr Euro zu kommen.

Das ist die eigentliche Revolution. Nicht ganz ernstgemeint: Kinder sind kann man auch als kleine Monster ansehen, die ihre Eltern von klein auf beobachten. Sie haben Zeit genug, alle möglichen Dinge auszuprobieren, um diese zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen. Die Eltern haben diese Zeit nicht, bemerken die immerwährenden Versuche mit ihnen noch nicht einmal. Eigentlich sind sie dem hilflos ausgeliefert.

Früher hat es harte Diskussionen zwischen Eltern und Kindern gegeben mit der Folge eines baldmöglichen Auszugs. Da ist man heute schlauer. Denn durch das Studium der Eltern hat man sich zwar keine markt-, aber eine haushaltsbeherrschende Stellung geschaffen. Die Eltern, ohnehin evtl. leicht überfordert, sind oft froh, wenn die Kinder ihnen Entscheidungen abnehmen. Außerdem gibt es strenge Normen, wie Eltern sich zu verhalten haben.

Ist auch logisch: Grenzen setzen erfordert viel Kraft und außerdem auch noch jeweils das Vorbild. Eine ganz schwierige Kiste, denn Kinderaugen bleibt fast nichts verborgen. Das ist übrigens in der Öffentlichkeit anders. Dort scheint es vor Selbstdarstellern/innen zu wimmeln. Sogar deren Privatleben dient zur Imagebildung, sorgfältig geschönt. Wobei man über die Normen dieser Schönungen bisweilen dennoch erschrickt.

Zurück zu dem/r Redakteur/in, oder besser noch zu den sogenannten Experten. Die fühlen sich immer wieder gebauchpinselt, als solche bezeichnet zu werden. Denn häufig ist das durch kaum etwas anderes als der veröffentlichte Wahrnehmung begründet. Der daraus folgende Ruhm geht dann entweder auf die eigene Rechnung, oder z.B. auf die eines Automobilclubs oder anderer eigentlich privatwirtschaftlich organisierter Institutionen.

Eine Winwin-Situation also, wenn jemand für einen Beitrag in einer Zeitung angerufen wird. Aber zweifellos mit dem Zwang behaftet, sofort eine zitierbare Antwort geben zu müssen, denn auch der weiß um den Redaktionsschluss. Wenn nicht, wird er vielleicht nicht mehr angerufen. Verrückt, nicht wahr? Als wenn die Hinzunahme einer weiteren Meinung in fast jedem Fall ein Gewinn wäre. Gruppenbildung, anscheinend das Gebot der Stunde.

Erinnert stark an den Schulunterricht, wo die Anzahl der Teilnehmer/innen, die in der Gruppe Schutz suchten, nicht besonders klein zu sein schien. Immerhin, wenn von denen einer zum Vortragen gezwungen wurde, natürlich eher ein repressiver Akt des/r Lehrers/in, dann hat man den/die frühzeitig begonnen anzufüttern, wodurch immerhin die Sozialkompetenz erhöht wurde. Geradezu gemein war es, solch ein Sprecheramt erst am Ende der Gruppenphase zu verteilen.

Als wenn etwas dabei herauskäme, wenn man eine Aufgabe gleichzeitig zu Mehreren lösen würde. Ebenso skuril wie Großraumbüros, wo der Lärm sich gleichmäßig auf die Gehirne der darin Tätigen legt. Gruppen lohnen sich eigentlich nur für ein kurzzeitiges Brainstorming und die daran anschließende Verteilung von Aufgaben. Und selbst die kann bisweilen schiefgehen, wenn sie nur durch die Gruppen selbst geschieht.

Warum haben sich denn Schriftsteller/innen so oft in ihr Gartenhaus oder in die Einsamkeit zurückgezogen? Damit sie mal in Ruhe einen oder mehrere klare Gedanken fassen konnten. Wo gibt es das heute noch? Und so sehen dann z.T. heutige Zeitungsartikel aus. Man kann bestenfalls dem/r zweiten 'Experten/in' sagen, was der/die erste gesagt hat. Aber Artikel enthalten in der Regel drei Experten mit jeweils höchstens zwei Statements. Das Schlimmste an solchen ist eigentlich das Fehlen jeglicher Überraschung.

Jetzt schauen Sie sich doch bitte zum Schluss noch einmal das Motorrad oben an. Nein, auf eine Zündapp DB 204 'Norma' von 1952 wollen wir Sie gewiss nicht verfrachten, zumal es sich bei dem Motor um einen Zweitakter handelt. Es geht vielmehr um die Schlichtheit dieses Motorrades. Da ist kein Teil zu viel und Chrom nur in kleinsten Dosen vorhanden.

Und was wollen wir damit? Sie uns zum Vorbild nehmen, so gut das geht. Etwas herunter mit dem Ego, weniger Selbstdarstellung, wieder auf unsere geleistete Arbeit stolz sein können und nicht dauernd nur auf uns selbst. So wie diese Maschine, die mit Sicherheit ihrem/r Besitzer/in viel Freude gemacht hat, denn immerhin war das erst der Beginn der Wirtschaftswunderzeit, vermutlich geprägt von dem hier geforderten Verhalten in Reinkultur.

Nicht dauernd Forderungen an andere oder den Staat direkt. Kein Tag vergeht ohne. Wir wollen das Beispiel jetzt nicht unnötig strapazieren, aber Anforderungen stellt dieses Motorrad sichtbar wenige, oder?


kfz-tech.de/YPs17







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