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Camillo Castiglioni 1



Hätten Sie auf Anhieb gewusst, dass die Hafenstadt Triest am Mittelmeer einmal zu Österreich-Ungarn gehörte? Trotzdem ist Camillo Castiglioni Italiener, als er hier als mittlerer von drei Söhnen am 22. Oktober 1879 geboren wird, denn die Familie stammt ursprünglich aus der Toskana. Schon der Vater ist ein bekannter Rabbiner, Religionslehrer und Verfasser von Büchern, der ältere Bruder wird neben seinen leitenden Tätigkeiten als Arzt auch eine Professur an der Universität Siena wahrnehmen, seinen Bekanntheitsgrad bis nach Übersee ausdehnen können.

Sein jüngerer Bruder wird Bankier bei der Banca Nationale di Credito. Trotz dieser enormen Ausstattung mit offensichtlicher Begabung ist die Familie arm, zumindest zu den Zeiten, da die Kinder noch jung sind. Später muss sich das etwas mehr zum Guten gewendet haben, sonst wäre das Studium der drei wohl nicht möglich gewesen. Es ist hier erwähnenswert, weil es vielleicht ein wenig das spätere unbedingte Streben von Castiglioni nach Reichtum und Anerkennung erklärt.

Ja, auch Camillo Castiglioni hat zunächst Jura studiert, dann aber abgebrochen, wobei es auch Stimmen gibt, die behaupten, das angefangene Studium sei von ihm erfunden worden. Was als erwiesen gilt, ist sein Abschluss einer Schule für Kaufleute und die anschließende Arbeit in einer Wechselstube mit Aufgaben, die auch in einer Bank zu finden sind. Dazu soll auch der Handel mit Wertpapieren gehört haben.

Schon hier zeigt sich eine durchschlagende Intelligenz mit dieser Art von Geschäften, denn er bringt es in relativ kurzer Zeit zu Ansehen in diesen Kreisen bis hinauf zur Regierung. Nicht ganz zu passen scheint sein ausgeprägtes Interesse an Technik, damals noch die beginnende mit Autos. Nacheinander arbeitet er zunächst bei einer Zündholzfabrik und dann, für sein weiteres Fortkommen wesentlich entscheidender, wird er von der Kautschukfabrik 'Continentale' eingestellt und als Vertreter nach Konstantinopel (heute Istanbul) geschickt.

Man sagt Camillo Castiglioni schon mit 21 Jahren die Kenntnis von sieben Sprachen nach. 1902 ist er wieder in Wien, die nach Paris wohl zu der Zeit blühendste Hauptstadt Europas. Er übernimmt die Exportabteilung der Österreichisch-Amerikanischen Gummigesellschaft, mit der er schon von Konstantinopel aus zu tun hatte. Bis 1907 wird er es dort zum kaufmännischen Direktor bringen. Es sind natürlich auch glückliche Jahre für die Industrie, erst 1907 kommt es zur Rezession. Noch 1902 heiratet er die Tochter des ihm schon aus Triester Zeiten bekannten Kaufmanns Lazare Vitali, 1905 wird Arturo geboren, benannt nach Castiglionis älterem Bruder.

Auf 1903 wird der erste dokumentierte Motorflug der Brüder Wright datiert. Wie früh Castiglioni Anteil nimmt, zeigt die Tatsache, dass er schon 1909 dem Wiener Aero-Club beitritt und im gleichen Jahr mit eigenem Ballon die entsprechende Fahrerprüfung ablegt. Jedenfalls erweitert es das vom ihm so intensiv betriebene Netzwerk um hochrangige Leute. Gleichzeitig nutzt er seine Kontakte nach oben, die militärische Beteiligung an der Luftfahrt dringend anzumahnen.

Schon sehr früh ist er zu der Überzeugung gelangt, dass es Krieg geben wird. Er setzt dabei mehr auf das Flugzeug als auf das Luftschiff, umfliegt Wien schon 1909 mit einem solchen. Das bringt ihm eine Audienz bei Kaiser Franz-Josef und den Titel Kommerzialrat ein. Erwähnenswert für unsere Geschichte über BMW ist 1909 die Gründung der Motor-Luftfahrzeug-Gesellschaft durch die Gummiwerke und Daimler, deren Geschäftsführer Castiglioni wird, weil der Wiener Bankverein, an dem Castigioni wohl Anteile besitzt, die Gründung herbeigeführt hat.

Auf die Fertigung von Luftschiffen mit Motorkraft hat Castiglioni Zugriff, als er gleich in seiner neuen Funktion nach Paris reist und dort Lizenzen für Lenkballone kauft. So wird deren Produktion auch in Österreich möglich. Die Hülle kommt natürlich, Sie ahnen es, von den Österreichisch-Amerikanischen Gummiwerken, der Motor von Austro-Daimler. Und hier ergibt sich dann die erste Begegnung von Castiglioni und Porsche. Die gedeiht anfangs so gut, dass eine unserer Quellen sogar behauptet, Porsche habe bei dem Rundflug um den Stephansdom mit im Flugzeug gesessen.

An die Lizenzen zum Bau von Flugzeugen kommt Castiglioni durch einen Zwischenschritt heran, nämlich durch die Ingenieurleistung des übrigens gleichaltrigen Flugpioniers Ingo Etrich. Dessen Etrich I wird 1909 fertig. Das Nachfolgemodell wird hauptsächlich von Rumpler in Berlin in Stückzahlen bis 200 gebaut, aber auch von anderen.


Etrich II im Technischen Museum Wien, Unterseite

Das Modell wird lizenzfrei, weil außer Rumpler niemand die Gebühren bezahlt und dann der auch nicht mehr. Woraufhin Castiglioni die Konstruktion zum Nachbau an die Lohner-Werke vergibt, die davon insgesamt 36 Stück hergestellt haben sollen. Angetrieben wird diese Etrich II hier von einem Daimler-Sechszylinder mit ca. 74 kW (100 PS). Die Zusammenarbeit zwischen der MLG und dem Flugzeugbauer wird immer enger.

Man könnte auch sagen, die MLG produziert nichts selbst, kassiert aber, z.B. von den Lohner-Werken einen bestimmten Prozentsatz für jedes verkaufte Flugzeug. Da lange Zeit konkurrenzlos, sind solche Geschäfte möglich, vor allem, weil die Militärs Flugzeuge so langsam zumindest als Aufklärer für nützlich erachteten. Lohner ist auch Mehrheitsaktionär bei MLG, aber über einen langen Zeitraum wird es Castiglioni gelingen, zunächst die übrigen und dann auch dessen Anteile auf sich zu vereinen. Er schätzt Lohner und der ihn, was aber Castiglionis Geschäftsdrang nicht bremsen kann.

Zurückschauend wird auch durch das Eingeständnis von Castiglioni selbst deutlich, dass der sich immer mehr in den Besitz der Firma bringt und der Ingenieur Ludwig Lohner sich dagegen nicht zu helfen weiß. Das sind erst Gewinnbeteiligungen, dann Eingriffe in das Konstruktionsbüro und auch der Aufbau Castiglioni eigener Firmen als Konkurrenz. Es gibt ein Dokument von Castiglioni selbst, dass eine Selbsteinschätzung seines Charakters enthält. Es ist ein sehr persönliches Schreiben an Lohner, den er für einen 'vollendeten Gentleman' hält und der bitte die ganzen Transaktionen nicht persönlich nehmen solle.

Wir zitieren es hier aus 'Camillio Castiglioni oder Die Metaphysik der Haifische' von Dieter Stiefel, S.31:

'[…] dass schon mein Bruder, der Doktor Castiglioni, der für mich der beste Psychiater der Welt ist, vor vielen Jahren von mir sagte, ich stünde über die Grenzen von Gut und Böse. So wie es mir absolut kein Opfer ist und ich es als selbstverständlich empfinde, manche Handlungen zu begehen, die mehr als großzügig sind und eine tiefe seelische Güte bezeigen, so fühle ich oder - Gott sei Dank - besser gesagt, fühlte ich bis vor Kurzem keine Bedenken, manche Wege zu betreten und Handlungen zu begehen, die dann im selben Moment von meiner Seele oder meinem Gewissen auf das schärfste verurteilt wurden. Glauben Sie nicht, dass ich mir ein milder Richter gewesen bin; im Gegenteil: ich habe mir sehr oft an den Kopf gegriffen und mich gefragt, ob es sich hier nicht bei mir um einen schweren Fall von moral insanity handelt; und dass ich die Kraft finde, dieses Bekenntnis heute für das erste Mal in meinem Leben zu Papier zu bringen, muss Ihnen einerseits beweisen, wie unendlich viel ich für Sie empfinde, andererseits aber auch, wie hartnäckig und eisern ich an meiner Besserung arbeite und wieweit ich schon mit derselben bin […]'.

Sie werden über den Werdegang Ferdinand Porsches über die Firma Lohner vielleicht gehört haben. Hier hat er um die Jahrhundertwende seine in der Entwicklung superteuren Elektro- und Hybridfahrzeuge gebaut, auf der Weltausstellung 1900 in Paris bewundert und zu weit über Hundert an dortige Fuhr- und Taxiunternehmen verkauft. 1901 chauffiert er den Thronfolger Franz-Ferdinand in einem der Wagen zum Kaisermanöver. Jetzt arbeitet Porsche bei Austro-Daimler u.a. auch an den Flugmotoren und er glänzt schon wieder ganz offiziell.

Bei den Militärs hat Castiglioni gegen Vorbehalte anzukämpfen, wohl eher bei den unteren Rängen. Es ist vermutlich noch nicht einmal seine jüdische, sondern mehr noch seine italienische Abstammung. Außerdem wird er wohl wegen seiner geringen Körpergröße von 1,68 m leicht unterschätzt. Er ist allerdings nicht jemand, der so etwas ewig auf sich sitzen lässt. In einem Duell verletzt er einen der Haupt-Widersacher schwer. Ansonsten nehmen seine Aktivitäten in Sachen Flugzeugbau zu.

Gerade kurz vor Kriegsbeginn ist die Skepsis der Militärs groß, wo doch eigentlich in großem Maße aufgerüstet werden müsste. Hier entsteht also das Vakuum, das Castiglioni mit großem Eifer und Profit füllen wird. So ganz reibungslos ist freilich die Geschichte nicht, denn es kommt bis Kriegsbeginn zu mehreren schweren Unfällen. Um daran vielleicht auch etwas zu ändern und nicht nur als Profiteur von Vermittlung dazustehen, übernimmt er ein Werk nach dem anderen.

So kommt es ab 1915 zu mehreren Zukäufen durch die MLG. Das sind die Ungarischen Flugzeugwerke 1912, die Österreichischen Albatros-Werke 1914, die Hansa Flugzeugwerke und die Deutsche Aero Gesellschaft 1915. Es gibt die Anekdote, dass er gerne Ernst Heinkel abgeworben hätte, und als der bei den Brandenburgischen Flugzeugwerken bleiben will, diese komplett kauft. Grundsätzlich setzt er aber gerade so viel Geld ein wie nötig, um an die Geschäftsleitung zu kommen. Die Beziehung zu den Rapp-Motorenwerke kommt auf Vermittlung von deren Direktor Wiedemann zustande.

Er kassiert durch den Auftrag des Lizenzbaus von Porsches Zwölfzylindern eine enorme Provision, muss aber offensichtlich zur Gewährleistung oder zumindest zur Aufrechterhaltung der Hoffnung auf Erfüllung des Auftrags Gelder zuschießen. Wie Castiglioni natürlich geartet ist, lässt er sich dafür Firmenanteile übereignen.







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